Gründung der Lazaristen
Die Zeit als Pfarrer in Chatillon ist sehr kurz. Herr und besonders Madame de Gondi setzen alle Hebel in Bewegung um ihren Hauskaplan zurück zu erhalten. Auch Berulle schwenkt um. Zu Weihnachten ist Vinzenz wieder an seinem alten Arbeitsplatz im Palais de Gondi in Paris zurück, er konnte aber vorher neue Arbeitsbedingungen ausverhandeln: Für den Unterricht und die Erziehung der Kinder bekommt er einen Assistenten und seine Hauptbeschäftigung wird die Glaubensverkündigung in den Pfarren der Ländereien der de Gondis sein. Sehr wahrscheinlich folgt erst jetzt und nicht, wie Abelly schreibt, unmittelbar vor dem Wechsel nach Chatillon die entscheidende pastorale Erfahrung mit einem als fromm geltenden todkranken Bauern, die dann zur Gründung der Lazaristen führt. Nach erfolgter Beichte kommt der arme Mann wieder etwas zu Kräften und bezeugt vor der Gräfin, die ihn besucht, wie wichtig für ihn diese Beichte war, ja, dass er vieles in seinem Leben niemals zu bekennen gewagt hatte. Dieser Mann starb dann. Und da diese Dame daraus die Dringlichkeit der Generalbeichte erkannte, wünschte sie, dass ich [Vinzenz] am darauf folgenden Tag eine Predigt über diesen Gegenstand halte. (XII, 7–8)
Vinzenz tat dies in der Kirche zu Folleville, am 25. Januar, dem Fest Pauli Bekehrung. Das Echo war enorm. Mehrere Jesuiten aus Amiens wurden zu Hilfe gerufen, um bei den Beichtgesprächen zu helfen. Madame de Gondi wollte, dass dieses gute Werk der Volksmission auch in anderen Pfarren ihrer Ländereien durchgeführt werde. Nachdem sich aber keine Priestergemeinschaft dafür fand, beauftragte sie Vinzenz eine zu gründen. Vinzenz machte sich ans Werk, erwarb in dieser Zeit auch ein Lizentiat im Kirchenrecht; fand jedoch bis zur Unterzeichnung der Stiftungsurkunde am 15. April 1625 nur Herrn Portail als Gefährten.
Oberseelsorger der Galeeren
Anfang 1619 wird Vinzenz auf Vorschlag des Grafen de Gondi, des Generals der Galeeren Frankreichs, zum königlichen Seelsorger der Galeeren ernannt. Dieser neu geschaffene Posten macht Vinzenz zum Oberen über alle anderen Galeerenseelsorger. Er erhält ein gutes Jahresgehalt, wird aber bis zum Jahre 1643 mit der Gründung des Hauses der Lazaristen in Marseille, wo die Galeeren stationiert sind, kaum selber aktiv. Für die auf die Galeeren verurteilten Sträflinge, die in schäbigen Pariser Gefängnissen angekettet auf ihren Marsch nach Marseille warteten, sind seelsorglich die Pariser Pfarrer zuständig und Vinzenz kann nur über Luise und den Caritasverein in der Pfarre von Saint-Nicolas bzw. später über die Barmherzigen Schwestern etwas für sie tun. Er ist also keineswegs der Pionier für diese Gefängnisseelsorge, wie es Abelly dargestellt hat, vielmehr müsste man hier George Froger, den Pfarrer von Saint-Nicolas anführen.
Meilensteine bis 1625
Ende 1618 lernt Vinzenz einen Mann Gottes, den Bischof von Genf, Franz von Sales (1567-1622) persönlich kennen. Er hielt sich in diplomatischer Mission fast ein Jahr in Paris auf. Sein Ruf als Prediger und geistlicher Autor war am Höhepunkt angelangt, sodass alle Welt ihn hören und sehen wollte. Vinzenz erfuhr die Gunst seiner Gespräche und lernt über ihn Personen kennen, die für ihn wichtig werden sollten: zukünftige Damen der Caritasvereine, darunter Luise von Marillac und Johanna von Chantal. Letztere hatte 1610 zusammen mit Franz von Sales den Orden von der Heimsuchung Mariens (Visitation) mit dem ersten Haus in Annecy gegründet. Die Schwestern sollten wie Klosterfrauen leben, aber auch außerhalb der Klostermauern karitativ tätig sein. Als jedoch im Jahr 1615 in Lyon ein zweites Haus gegründet werden sollte, widersetzte sich der zuständige Erzbischof diesem Konzept, was zur Folge hatte, dass die päpstliche Anerkennung 1618 nur einen kontemplativen Orden gestattete. Vinzenz wird aus dieser Erfahrung des Scheiterns einer Idee lernen und viele Jahre später die Barmherzigen Schwestern vor einem ähnlichen Schicksal bewahren.
Mit einem anderen Scheitern, seinem eigenen, hat er sich 1623 bei einem Besuch seiner Verwandten in seinem Heimatort auseinandergesetzt. Er wollte ja ursprünglich seine Familie finanziell unterstützen, konnte es aber viele Jahre nicht. Jetzt wäre er dazu in der Lage, aber inzwischen hat er andere Ideale, er will nur mehr dem Reich Gottes und den Armen dienen.
Die Gründung einer eigenen Gemeinschaft bringt Vinzenz immer mehr in Gegensatz mit Berulle, sodass er ab 1624 beim großen Theologen Andre Duval geistliche Ratschläge einholt.
Bald nach Unterzeichnung des Gründungsvertrages der Lazaristen stirbt Madame de Gondi und Vinzenz wird vom Grafen von der Klausel befreit, dass er bis an sein Lebensende auch Seelsorger der Familie Gondi bleiben und in deren Haushalt wohnen müsse. Er übersiedelt mit den Mitbrüdern in das erste eigene Haus, das alte, schon etwas baufällige Kolleg der guten Kinder (College des Bons-Enfants). In dieser Zeit wird Vinzenz geistlicher Begleiter einer 34-jährigen Witwe, die große Mühe bei der Erziehung ihres einzigen, schwierigen Sohnes hat: LUISE VON MARILLAC, von unehelicher Geburt, aber von ihrem adeligen Vater anerkannt und somit, wenn auch von vielen Verwandten nur geduldet, Mitglied einer sehr prominenten Familie im Königreich.
Widerstände
Die Gemeinschaft der Lazaristen wächst langsam. Wenn sie zu dritt auf die gräflichen Ländereien gehen um eine Volksmission zu halten, gibt Vinzenz den Schlüssel des Hauses bei einem Nachbarn ab. Im Jahr 1626 unterzeichnen sie zu viert vor Notaren einen Vereinigungsvertrag und bemühen sich sodann um eine königliche Anerkennung, unterstützt vom Pariser Erzbischof de Gondi, einem Bruder des Grafen. Ludwig XIII. gewährt sie und schickt 1628 ein Schreiben an den Papst mit der Bitte, die Gemeinschaft zu einer Kongregation zu erheben. Doch Rom verweigert die Zustimmung. Vinzenz war selber länger in römischen Kreisen zuhause, er weiß, was jetzt zu tun ist, aber er muss hören, dass auch Stimmen aus Frankreich, etwa Berulle, inzwischen zum Kardinal erhoben, gegen ihn intervenieren. In Paris sind es die Pfarrer, die keine neue Kongregation wünschen, denn früher oder später – so ihre Meinung – wird sie auf Einkünfte von den Pfarren der Diözese bestehen. Mit Hartnäckigkeit, guten Beratern und einem ständigen Vertreter in Rom erreicht Vinzenz, dass die Gemeinschaft schließlich Anfang 1633 päpstlich errichtet wird.
In all dieser Zeit hält Vinzenz persönlich viele Volksmissionen auf dem Land. Er wirbt um neue Mitglieder. Im Jahre 1631 umfasst die Gemeinschaft 26 Mitbrüder, davon sind 14 Priester. Eine Besonderheit der vinzentinischen Glaubensverkündigung ist von Anfang an die Gründung eines Caritasvereins, als praktische Frucht der Glaubenserneuerung in einer Pfarre. Diese Vereine bedürfen bald einer intensiveren Nachbetreuung, die Vinzenz nicht alleine schafft. Er engagiert Luise und später auch andere Damen, die diese Aufgabe sehr gut erfüllen.
Vinzenz und die Frauen
Eine durchgehende Konstante im Leben und Wirken von Vinzenz von Paul ist der Einfluss von Frauen auf ihn, aber auch umgekehrt. Es waren Frauen, die auf seine Predigt in Chatillon hin bereit waren, der kranken Familie zu helfen und sich anschließend zu einem Caritasverein zusammenzuschließen. Es war Madame de Gondi, die Vinzenz ermunterte in Folleville über den Sinn einer General- oder Lebensbeichte zu predigen und anschließend die Gründung einer Gemeinschaft anregte. Es sind Luise von Marillac und andere Damen der Charité, mit denen Vinzenz weitere Pionierarbeit im Dienst an den Armen, in der wirksamen Verkündigung der frohen Botschaft leisten wird. Der Caritasverein von Hotel Dieu in Paris und die Barmherzigen Schwestern sind die herausragende Beispiele dafür.
Alexander Jernej CM
(Fortsetzung folgt)
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