VERWANDTE IN GEIST UND TAT

SEIT MEHREREN JAHREN ARBEITEN DIE VINZENTINER IN TRIER ENG MIT DEN IN DER STADT ANSÄSSIGEN „BORROMÄERINNEN“ ZUSAMMEN, V.A. IM BEREICH DER SCHWESTERN- UND DER KRANKENHAUSSEELSORGE. DAMIT ERGÄNZEN SICH ZWEI GEMEINSCHAFTEN, DEREN SPIRITUALITÄT VIELE ÄHNLICHKEITEN AUFWEIST.

Der hl. Karl Borromäus besucht Kranke und Notleidende.
Quelle: Altarbild der früheren Mutterhauskirche, jetzt Noviziatskapelle

Barmherzige Schwestern vom hl. Karl Borromäus – so lautet der offizielle Namen der Schwesterngemeinschaft, die landläufig „Borromäerinnen“ genannt werden.
Wenn auch der Name dieser Schwesterngemeinschaft zu der Vermutung einlädt, die Gründung ginge auf den großen Reformer und Mailänder Kardinal Karl Borromäus (1538 – 1584) zurück, so ist die Geschichte ihrer Gründung zunächst eine andere.

Die Anfänge dieser Gemeinschaft liegen in der Notzeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Der Advokat Josef Chauvenel in Nancy / Lothingen widmete sein Leben und seine Arbeitskraft den Armen, Kranken und Verlassenen und richtet für alle Hilfsbedürftigen eine Armenapotheke ein. Als in Toul 1651 die Pest ausbrach, pflegte Josef Chauvenel die Pestkranken, infizierte sich und starb im Alter von 31 Jahren. Sein Vater, Emanuel Chauvenel, führte sein Lebenswerk weiter indem er sein Vermögen für die Armen einsetzte und das Haus der Barmherzigkeit, „Charité“ gründete. Dabei halfen ihm einige Frauen als Freiwillige.
Die eigentliche Gründung der Schwesterngemeinschaft erfolgte am 18. Juli 1652 in Nancy. 10 Jahre später schenkte Emanuel Chauvenel den Schwestern sein größeres Haus „Saint Charles“, über dessen Eingang eine Statue des hl. Karl Borromäus stand.

Der Stifter stellte seine Gründung unter den Schutz der Heiligen Familie Jesus, Maria und Josef und gab den Mitgliedern den Namen „Schwestern von der Heiligen Familie“. Nach einem ihnen zugewiesenen Haus „St. Charles“ wurden sie vom Volk „Schwestern von der Charité St. Charles“ und später in Deutschland „Borromäerinnen“ genannt. Ihre Hauptpatrone sind daher die Heilige Familie und der heilige Karl Borromäus.
(Konstitutionen – Ursprung und geschichtl. Entwicklung)

Die Schwesterngemeinschaft teilt sich heute in sieben selbständige Kongregationen auf.
Im Jahre 1811 kamen die ersten Schwestern von Nancy nach Trier. Dort bezogen sie 1849 ein größeres Haus, das „Haus im Krahnen“, als Mutterhaus für die deutsche Provinz. Im Kulturkampf 1872 spaltete man Trier zur ersten eigenständigen Kongregation in Deutschland ab.

Wer aus der Familie des hl. Vinzenz von Paul kommend den Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus begegnet und diese Gemeinschaft kennen lernt, wird sehr schnell viele Gemeinsamkeiten entdecken.

Als die Schwesterngemeinschaft im Juli 1652 in Nancy gegründet wurde, lebte Vinzenz von Paul in Paris. Die interessante Frage, ob er von der Gründung in Nancy wusste, hat spekulativen Charakter. Interessant ist, dass bereits im Gründungsdokument eine Haltung beschrieben wird, die uns an ein Stück vinzentinische Spiritualität erinnert:

Angeregt durch den Geist des Evangeliums, übernahmen die Schwestern die Aufgabe, „arme Kranke, die jeder Hilfe entbehren, zu besuchen, ihnen zu helfen, sie zu trösten und Sorge zu tragen, dass ihnen die Sakramente der Kirche gespendet werden …“ (Gründungsdokument vom 18.Juni 1652)

Auf der Suche nach weiteren Gemeinsamkeiten begegnet uns der hl. Franz von Sales. Nach seiner Regel lebten die Schwestern bis zur Abfassung einer eigenen Regel im Jahr 1678. Das Gottesbild und die Theologie „des guten Bischofs von Genf“, wie ihn der hl. Vinzenz von Paul nannte, hat die Spiritualität der Schwestern vom hl. Karl Borromäus entscheidend geprägt.
Wer die Vorträge, Ansprachen und Predigten des hl. Vinzenz kennt der weiß, wie sehr Vinzenz von Paul diesen Mann schätzte und verehrte.

Statue des hl. Karl Borromäus
Eingang Schwesterntor

Der hl. Karl Borromäus war ein großer Reformer des Konzils von Trient. Besonders bei der Reform des Klerus in Frankreich, an der Vinzenz von Paul einen großen Anteil hatte, bezieht er sich immer wieder auf Karl Borromäus. Vinzenz schätze Karl Borromäus sehr und stellte ihn mehrfach als Vorbild hin:
Es ist gut, ihre Betrachtung zu halten, während sie über die Felder gehen, um die Kranken zu besuchen. Der hl. Karl Borromäus tat es ebenso; er machte nicht bloß die Betrachtung auf dem Wege, sondern machte auch seine Beichte zu Pferde, er rief einen Kaplan an seine Seite und legte seine Beichte ab.

Ein Student sei ein vollkommener Student, ein Soldat ein vollkommener Soldat, ein Rechtsbeamter ein vollkommener Rechtsbeamter und ein Priester ein vollkommener Geistlicher, wie der hl. Karl Borromäus einer war. (aus: Die andere Seite der Medaille, Nr. 1006 + Nr.67)

Obwohl sich die beiden Heiligen in ihrem Leben nie begegnet sind hatten sie eine sehr ähnliche Lebens – und Glaubensperspektive. Das ewige Seelenheil, die Rettung der Seelen war die primäre Intention ihrer Handlungen. Nicht die kirchliche Karriere, Ansehen und Macht waren für sie erstrebenswerte Dinge, sondern das spürbare erfahrbar machen der Barmherzigkeit und unbedingten Zuwendung Gottes zum Menschen, besonders zu den Armen, Hilflosen und Bedürftigen. Vinzenz von Paul und Karl Borromäus waren, obwohl in verschiedenen Epochen lebend, Brüder im Geist und in der Tat.

In der Festschrift 175 Jahre Barmherzige Schwestern in Bayern ist u.a. folgendes zu lesen:
(König) Ludwig selbst dürfte vinzentinisches Gedankengut geläufig gewesen sein, da sein Erzieher Sambuga ein Buch über Vinzenz von Paul veröffentlicht hatte, das Ludwig mit Sicherheit kannte. Zudem war gerade ein Buch von Clemens Brentano erschienen, das das Wirken der Barmherzigen Schwestern von Nancy und Koblenz anschaulich schilderte und das deutschlandweit eine große Werbewirksamkeit für die Barmherzigen Schwestern erzielte. Dieses Buch war dem König von Josef Görres, einem damals sehr bekannten katholischen Publizisten, wärmstens empfohlen worden.
Görres selbst hatte während seines Exils in Frankreich die Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul in Straßburg und die Barmherzigen Schwestern vom Hl. Karl Borromäus in Nancy kennen – und schätzen gelernt.
Beide Kongregationen waren zwar keine vinzentinischen Gründungen im historischen Sinne, beriefen sich jedoch auf Vinzenz von Paul als ihren geistigen Gründer und folgten seinen Ideen und seiner Regel.

Die Entstehung der Kongregation der Barmherzigen Schwestern von Straßburg geht, wie im oben zitierten Artikel ausgeführt, nicht direkt auf Vinzenz von Paul zurück, steht aber in einem klaren Zusammenhang mit ihm. Interessant ist hier die beschriebene Verbindung zwischen den Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus in Nancy und den Ideen und der Regel des Hl. Vinzenz von Paul.

Reliquien die hl. Karl Borromäus
Mutterhauskirche St.Josef, Trier

In wieweit es historisch tatsächlich eine direkte Verbindungslinie zwischen den Barmherzigen Schwestern des hl. Karl Borromäus und dem Hl. Vinzenz von Paul und damit seiner Familie gibt, lässt sich an dieser Stelle nicht klären.
Würde man einen direkten Vergleich, eine Synopse, zwischen den grundlegenden Texten der Gemeinschaft der Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus und den Töchtern der christlichen Liebe anstellen, wäre eine große Übereinstimmung zu erkennen.

Barmherzigkeit und Güte sollen die Sichtweise der Barmherzigen Schwestern bestimmen und sie in ihrem Dienst an den Armen ihrer Zeit motivieren. Die Hinwendung Gottes zum Menschen, die in Jesus Christus und seinem Evangelium manifestiert ist, soll durch den Dienst der Barmherzigkeit eine lebendige und erfahrbare Größe werden.

Als Verwandte im Geist und in der Tat haben wir – die Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus und die Familie des Hl. Vinzenz von Paul – eine klare Aufgabe in unserer Welt:

Begegnen wir Menschen, die von Krankheit, Alter und moralischen Prüfungen sichtlich gezeichnet sind oder durch das Böse entstellt, oder aber den geistig Behinderten, die scheinbar jeder menschlichen Verhaltensweise beraubt sind, dann bedenken wir im Glauben, dass der Herr – entgegen unserer sogenannten Erfahrung – wirklich in ihnen gegenwärtig ist…
Er Ist in ihnen durch seine Geduld und seine Allmacht, die selbst im Geringsten dieser Wracks im Meer der Welt eine Person sieht, einen ewigen Wert, einen Bruder des menschgewordenen Wortes Gottes, ein von Gott wirklich geliebtes Wesen. „Sehen“, das ist zu wenig gesagt, denn eine solche Sicht, die aus der Liebe kommt, besitzt schöpferische Kraft. Wollten wir nicht bedingungslos alles im Glauben annehmen, was hierin für unsere kleine Erfahrung an Unglaublichem, Widersprüchlichem und rein Übernatürlichem liegt, das wäre so viel wie nichts verstehen von dem ursprünglichen Geheimnis der einigenden und schöpferischen Liebe, die Gott selber ist. Es wäre eine totale Verfälschung des tiefsten Gehaltes des Christentums.
(Karl Rahner)

P. Norbert Ensch C.M.