Konfliktfelder in der seelsorglichen Betreuung der christlichen Gefangenen
in Tunis und Algier
Die Tätigkeit der Lazaristen in Nordafrika hat von Anfang an mit vielen Problemen zu kämpfen. In den Häusern in Tunis und Algier sind sie meist nur zu zweit, die eine große Anzahl von verschleppten und versklavten Christen betreuen sollen. In einem Brief von 1657 nennt Vinzenz von Paul rund 20.000 Personen, die in Algier von den Mitbrüdern betreut werden, in Tunis sind es seiner Einschätzung nach etwa 10.000 (Steinke, 285). Es sind Männer, Frauen und Kinder aus vielen europäischen Nationen, Alte, Junge, Adelige, Kleriker und Angehörige vieler Berufsgruppen, vielfach einfache Matrosen, die die Gemeinden der Lazaristen in der sog. Berberei bilden.
Korsaren, also Piraten im Dienste der jeweiligen Herrscher, haben diese Unglücklichen beim Überfall von fremden Schiffen im Mittelmeer oder bei Streifzügen an der Küste erbeutet. Etwa 10 % lieferten sie ihren Herren ab, die sie in Sammelunterkünfte, sog. Bagnos, steckten, die anderen landeten auf dem Sklavenmarkt und von dort gelangten sie weiter zu unterschiedlichen Besitzern. Kräftige Männer wurden oftmals zu härtester Arbeit auf den Galeeren oder in Steinbrüchen eingesetzt, andere traf es in manchem Haushalt leichter. Das Schicksal von so manchen Frauen, besonders von jungen, kann man sich denken. Die meisten Sklaven waren aber, anders als ihre muslimischen Leidensgenossen in Europa, für einen lukrativen Rückkauf bestimmt.
Die Lazaristen, die hauptsächlich gekommen waren, diese Unglücklichen seelsorglich zu stärken, aber auch sonst in jeder möglichen Weise zu helfen, bis hin zu einem Loskauf, waren aber auch als Konsuln tätig. Als politische Vertreter des französischen Königs waren sie Schutzherren und Fürsprecher der europäischen Händler, besonders der französischen. Dies brachte sie oft in Spannungen mit den Autoritäten von Algier und Tunis. Aber auch mit den europäischen Händlern und den Sklaven ergaben sich Konflikte.
Frankreich stand bei den osmanischen Behörden der amtliche Schutz aller Christen zu. Ausgenommen waren nur englische Staatsbürger. Zu den Befugnissen eines Konsuls gehörte es, Zölle einzuheben und die nötigen Pässe für die Schiffe auszustellen, die aus den Häfen ausliefen. Er konnte des Weiteren Einspruch erheben gegen die von den Seeräubern beschlagnahmten französischen Schiffe und (oftmals vergeblich) deren Rückgabe fordern. Auch war er befugt wegen des Loskaufs der Sklaven zu verhandeln oder Streitigkeiten zu schlichten, die unter den Sklaven oder unter den Kaufleuten immer wieder einmal ausbrachen. Besonders heikel war die Aufgabe, die Kaufleute daran zu hindern, mit kriegsdienlichen Waren zu handeln. Neben Waffen zählten dazu auch u.a. Material für Segel und Tauwerk. Dieses Verbot hat das französische Recht von der aus dem 13. Jahrhundert stammenden päpstlichen Bulle In coena Domini, die allen Christen verbot, den Ungläubigen solches Material zu verschaffen, übernommen (V, 384).
Vinzenz verlangte von seinen Konsuln eine strenge Auslegung dieser Vorschrift. Für ihn war es aber nicht leicht, die Tätigkeit seiner Mitbrüder in Nordafrika zu kontrollieren. An eine regelmäßige Visitation wie bei anderen Häusern war nicht zu denken. Es musste alles im Schriftverkehr geregelt werden. Für die Einschätzung der tatsächlichen Lage in Algier und Tunis war deshalb der Superior des Hauses in Marseille von großer Bedeutung. Bei ihm langten regelmäßig Informationen aus den französischen Handelsniederlassungen im Mittelmeerraum ein und er fand Gesprächspartner, die aktuelle Informationen aus Nordafrika besaßen.
Ein hohes Konfliktpotential in den Häusern von Tunis und Algier war auch innerhalb der kleinen Lazaristengemeinschaft gegeben. Der Priester war der Superior der Niederlassung und zugleich der Kaplan des nicht geweihten Bruders, der als Konsul fungierte. Dieser jedoch konnte sich je nach dem mehr auf seine staatliche Beauftragung berufen oder sich als gehorsames Mitglied der Gemeinschaft verstehen. Besonders gefährlich wurde es in Algier, wo Jean Barreau in jeder Hinsicht eigenwillig vorging. Darüber mehr im nächsten Beitrag. Zunächst jedoch:
Die Schwierigkeiten der Gemeinschaft in Tunis
Der eifrige Seelsorger Herr Guérin erwirkt vom Provinzgouverneur, dem Beylerbeyi, die Erlaubnis, einen Mitarbeiter kommen zu lassen. Vinzenz schickt 1647 den jungen Jean Le Vacher, der bis 1666 bleiben wird. Gleich nach seiner Ankunft bricht eine Epidemie, vermutlich die Pest, aus. Le Vacher kümmert sich um die Kranken und wird angesteckt. Während er überlebt und gesund wird, sterben sein Mitbruder Guérin und auch der Konsul Monsieur Martin Lange. Sein Amt muss nun Le Vacher übernehmen, obwohl er als Priester dies nach dem Kirchenrecht nicht dürfte. Ein Jahr später erwirbt Vinzenz mit Hilfe der Herzogin von Aiguillon das Konsulat für seine Gemeinschaft und hat damit auch das Recht, einen neuen Konsul einzusetzen. Die Wahl fällt auf Benjamin Huguier, einen früheren Anwalt, der erst kürzlich in die Gemeinschaft eingetreten war. 1649 kommt er nach Tunis, wird aber vom Dey, dem mächtigen Anführer der Janitscharen, die als anatolische Besatzungsmacht in Nordafrika fungierten, abgelehnt und somit muss Herr Le Vacher Konsul bleiben. Damit Huguier ihm wenigstens einige Arbeit abnehmen kann, ernennt er ihn zu seinem Vertreter.
Aber diese Lösung hält nicht lange: 1652 wird Huguier abgezogen. Vinzenz wählt wiederum einen jungen Rechtsanwalt, Herrn Martin Husson, der kürzlich als Bruder in die Gemeinschaft eingetreten ist, für das Amt des Konsuls aus. Diesmal bemüht er sich über den Botschafter Ludwigs XIV., M. de La Haye-Vantelay um seine Akkreditierung in Konstantinopel. Es dauert lange, bis er so ausgestattet 1654 sein Amt antreten kann. Wohl persönlich von Vinzenz über seine Aufgaben und Pflichten instruiert, nimmt er diese sehr genau. Die französischen Händler beklagen sich bei der Handelskammer in Marseille über ihn. Sie setzen ihn unter Druck, sodass er bereits im Januar 1656 Vinzenz um Ablöse bittet (V, 265). Mangels einer Alternative nimmt
Vinzenz dieses Gesuch nicht an.
Bald darauf verschärfen sich die Spannungen. Der Dey will Segeltuch aus Frankreich. Konsul Husson verweigert die Einfuhr. Die Ware wird aber dennoch von einem Händler in Marseille besorgt. Husson protestiert und schaltet über Vinzenz den französischen Hof ein. Dieser stärkt die Position des Konsuls, indem er das Verbot erneuert. (V, 405). Damit verspielt Husson aber seine letzten Sympathien beim Dey und bei den Kaufleuten. Diese verweigern ihm nun Rechenschaft über ihre Waren zu geben und die Zollgebühren zu bezahlen. Vinzenz berichtet wiederum an den Hof und erwirkt im Juli 1656 vom König eine schriftliche Bestätigung der Rechte des Konsuls, sowie die Androhung einer hohen Strafe bei Zuwiderhandlung (Steinke, 302). Erst nach einigen Monaten beruhigte sich die Lage, aber nicht lange, denn ein diplomatischer Zwischenfall im Mai 1657 führte endgültig zu seiner Vertreibung:
Der Kapitän eines französischen Schiffes unter weißer Flagge hatte 13 Männer aus Tunis, die sich bei ihm an Bord begeben hatten, entgegen allen Vereinbarungen festgenommen und in Livorno als Sklaven verkauft. Der Dey verlangte ihre sofortige Herausgabe. Das Argument, dass der französische Konsul im Großherzogtum der Toskana keine Befugnisse hätte, ließ er nicht gelten. Im Juli 1657 verwies er Konsul Husson des Landes und setzte an seiner Stelle wieder Le Vacher ein. Dieser erbt diesen Konflikt, der sich dadurch verschärft, dass zwei tunesische Korsarenschiffe unter weißer Flagge 15 Fischer aus der Provence gefangen nehmen. Le Vacher deklariert als Konsul diese unrechtmäßige Prise, aber die Unglücklichen werden als Geiseln für einen Austausch mit den verschleppten Tunesiern eingesperrt. Weitere 18 französische Seeleute, die vor der tunesischen Küste Schiffbruch erleiden, kommen als Geiseln hinzu. Le Vacher kann als Konsul nicht nur ihnen nicht helfen, sondern auch andere Belange vor dem Dey nicht geltend machen. Er schreibt nach Marseille: Der Akt der Feindseligkeit, den der Kapitän … durch Geiz gegenüber diesen dreizehn Türken … begangen hat, … hat bis jetzt unserer ganzen Nation in diesem Land [Tunis] sehr beachtlichen Schaden gebracht. (Steinke, 304)
Schwierigkeiten dieser Art, aber auch andere in Algier, lassen Vinzenz immer wieder daran denken, das Amt des Konsuls für seine Mitbrüder aufzugeben und nur mehr Priester für die Seelsorge in Nordafrika zu belassen. Zu einem diesbezüglichen Entschluss ist er aber nie gekommen.
Alexander Jernej CM
(Fortsetzung folgt)
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