Die Sklavenseelsorge in Tunis und Algier (1645-1660)1

Die sogenannten Barbareskenstaaten in Nordafrika, die formell zum osmanischen Reich gehörten, agierten gerne unabhängig von der Hohen Pforte in Istanbul. Frankreich versuchte daher Anfang des 17. Jahrhunderts neben den „Kapitulationen“ mit dem Sultan direkte Abkommen mit diesen Herrschaftsgebieten abzuschließen. Solche „Friedensverträge“, die etwa Überfälle auf französische Schiffe im Mittelmeer untersagten, mussten freilich zusätzlich immer wieder mit militärischem Druck eingefordert werden. Während des Dreißigjährigen Krieges und bis zur Erlangung des Pyrenäen-Friedens mit Spanien (1661) war Frankreich gegenüber den nordafrikanischen Korsaren aber geschwächt und diese machten im Mittelmeer bei ihren Kaperfahrten reiche Beute. Es drängte sich die Frage auf, wie man den vielen Tausenden in Gefangenschaft geratenen Christen helfen könnte.

Zuständig für die Seelsorge und die Verkündigung des Evangeliums außerhalb der katholisch geprägten Gebiete und Länder war ab 1622 die eigens dafür gegründete päpstliche Kongregation De Propaganda Fide (Kongregation für die Verbreitung des Glaubens). Diese wird noch in den b1920er Jahren mit Hilfe verschiedener Orden mit mäßigem Erfolg in Nordafrika aktiv. Ende bNovember 1642 berichtet Vinzenz von Paul in einem Brief von einem Projekt zur Erkundigung der Möglichkeiten einer seelsorglichen Tätigkeit unter den christlichen Sklaven in Nordafrika (VIII, 554). Anfang Februar des nächsten Jahres schreibt Vinzenz seinem Mitbruder in Rom, dass jeder ihn zu diesem Werk dränge (XV, 38) und er bittet ihn die Propaganda fide darüber zu informieren. Vielleicht ist Vinzenz ursprünglich von ihrem ersten Sekretär Francesco Ingoli, den er im Rahmen der 1633 erfolgten Anerkennung der Lazaristen, der Kongregation der Mission, kennengelernt hat, zu dieser Tätigkeit ermutigt worden. Auch die Mitglieder der Companie du Saint-Sacrement, allen voran Simiane Ritter von Coste und Bischof Jean-Baptiste Gault von Marseille kommen dafür in Frage. Sie waren ebenfalls von der Notwendigkeit einer seelsorglichen Tätigkeit unter den Gefangenen in Nordafrika überzeugt und standen, anders als in Frankreich im Blick auf die Galeerensklaven, hier nie in einer Konkurrenzsituation mit den Lazaristen (252).

Es war die Herzogin von Aiguillon, die nicht nur im Hospital für die kranken Galeerenruderer in Marseille ein Haus der Lazaristen für die Galeerenseelsorge errichtete, sondern auch in der Stiftungsurkunde vom 25. Juli 1643 die Betreuung der christlichen Sklaven in den Barbareskenstaaten durch die Lazaristen festschrieb. Zunächst dachte man an zeitlich begrenzte Einsätze nach dem Modell einer Volksmission, die man unter irgendeinem Vorwand, etwa des Sklavenloskaufs, durchzuführen gedachte. Diese Pläne ließen sich nicht realisieren. Schließlich wurde Vinzenz auf die Konsulate aufmerksam, die in jeder französischen Handelsniederlassung die Interessen der französischen Krone und ihrer Untertanen vertraten. Der Konsul hatte auch das Recht in seinem Haus die christliche Religion zu praktizieren und dafür einen Priester als Kaplan anzustellen. Am 22. November 1645 kamen so die ersten Lazaristen, Herr Guérin und Bruder Francillon, im Gebäude des französischen Konsuls in Tunis an. Bald darauf erfolgte die Bekehrung eines Sohnes des lokalen Herrschers (Bey), der mit Gefolgsleuten nach Sizilien floh und dort getauft wurde. Herr Guérin wurde zurecht verdächtigt, damit etwas zu tun zu haben und landete für einen Monat im Gefängnis. Es hätte schlimmer kommen und eine zukünftige Tätigkeit unter den Christen in Nordafrika in Frage stellen können (253). Vinzenz gelangte daher sehr bald zu der Überzeugung und ordnete dies auch seinen Mitbrüdern an: ihr seelsorgliches Bemühen soll einzig und allein den armen gefangengehaltenen Christen gelten. (IV, 122).

Ein Jahr später wurde das Konsulatsamt von Algier vakant. Ritter Coste reiste nach Paris, um die Herzogin und Vinzenz mit Erfolg zu überzeugen, es zu erwerben. Nun konnte ein Lazarist, allerdings gemäß dem Kirchenrecht kein Priester, als Konsul und ein zweiter als sein Kaplan offiziell in Algier tätig werden. Zwei Jahre später erwarb die Herzogin für die Lazaristen auch das Konsulatsamt von Tunis. Für die laufenden Kosten der Seelsorge in Nordafrika stellte sie die Einkünfte aus dem Postkutschenwesen einiger französischer Provinzen zur Verfügung. Im Gegenzug erwartete sie einen halbjährlichen Bericht über den „Erfolg“ der Mission in Nordafrika (258).

Die im Vergleich zum christlichen Europa liberale osmanische Religionspolitik ermöglichte es somit Strukturen der Seelsorge aufzubauen. Christliche Gottesdienste konnten in den großen Sklavenlagern, den sog. Bagnos in eigens dafür errichteten Kapellen gefeiert werden. Erst 50 Jahre später wurden muslimischen Sklaven in Marseille ähnliche Möglichkeiten zugestanden.

Der als Konsul tätige Lazaristenbruder Jean Barreau, ein früherer Rechtsanwalt, hatte die Franzosen, die wenigen freien Händler und die vielen Sklaven sowie alle Christen zu vertreten und vor schlechter Behandlung zu schützen, des Weiteren überwachte er die französischen Handelsgeschäfte und konnte dabei auch Steuern einheben (259).

Sein Kaplan, der zugleich sein Superior war, versuchte eine geordnete Seelsorge in der Stadt und im Hinterland zu organisieren, d. h. Katechismus zu unterrichten und Sakramente zu spenden. Dabei konnte er auch auf die Hilfe von gefangengenommenen Priestern zählen, wenn es ihm gelang sie dafür zu gewinnen. Die Versuchung vom katholischen Glauben abzufallen und als Muslim viele Erleichterungen zu bekommen, war für alle gegeben. Davor sollte eine intensive Fürsorge geistiger aber auch materieller Art bewahren, das war der eigentliche Hauptzweck der Seelsorge. Wenn darüber hinaus noch Protestanten oder Orthodoxe zum katholischen Glauben übertraten, wurde das als positiver Nebeneffekt begrüßt (261).

Vinzenz von Paul war mit seinen Mitbrüdern in Nordafrika in ständigem Kontakt. Er gab ihnen ein genaues Regelwerk für ihre Tätigkeiten. Leider wurde es oft schlecht befolgt, was schlimme Folgen nach sich zog. Bisweilen musste Vinzenz den Übereifer seiner Mitbrüder bremsen. Er empfahl ihnen eher langfristige Seelsorgestrukturen aufzubauen und dafür die unfreien Priester durch verständnisvolles, behutsames Vorgehen zu gewinnen.

Für die Tätigkeit in Nordafrika brauchte es besondere Sprachkenntnisse. Europäische Händler, Sklaven und auch die einheimische Bevölkerung verwendeten als lingua franca ein Gemisch aus Französisch, Italienisch und Spanisch. Mit den lokalen Autoritäten verhandelten die Lazaristen auf osmanisch (türkisch) oder arabisch.

Ein besonderes Augenmerk galt der Betreuung der kranken Sklaven. Diese Tätigkeit wurde von der einheimischen Bevölkerung und auch den Sklavenbesitzern wohlwollend aufgenommen. In den Pestepidemien zwischen 1647-49 starben vier Lazaristen allein infolge dieses Dienstes.

Des Weiteren wurde ein Kommunikationsnetzwerk aufgebaut. Angehörige wollten wissen, wo sich ein bestimmter Sklave befindet und wie es ihm geht. Auch wurden Briefe von Sklaven an ihre Angehörigen nach Frankreich weitergeleitet. Im Großen und Ganzen funktionierte der Postweg per Schiff zwischen Nordafrika und Frankreich sehr gut. Er dauerte ein bis zwei Wochen (266)!

Ein wichtiges Aufgabenfeld war auch der Sklavenloskauf (270), ein großes Geschäft, an dem alle Seiten interessiert waren. Es gab dafür quasi einvernehmliche rechtliche Praktiken. Der Konsul war immer involviert. Aber auch die Seelsorger halfen beim Zustandekommen eines Loskaufes mit. Bisweilen kauften sie sogar selbst Sklaven frei. Dabei sollten sie diejenigen bevorzugen, deren Glaube gefährdet war. Diese Priorisierung bereitete nicht geringe Schwierigkeiten, denn sie stürzte leicht andere in Verzweiflung. Die meisten Loskäufe erfolgten auf individueller Basis. Größere Loskaufaktionen unternahm u.a. auch der französische König. Dieser forderte im Rahmen der Aushandlung von Friedensverträgen meist vergeblich die Freilassung, bzw. den Austausch von Sklaven.

Aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse und Kontakte in Frankreich und in Nordafrika gelang es auch Vinzenz von Paul einen Sklavenaustausch zu erreichen. Ende 1658 konnten die Türken von Tunis in Marseille, und auf der anderen Seite französische Sklaven in Tunis in ihre jeweilige Heimat zurückkehren. Dies war allerdings von französischer Seite nur möglich, weil die Galeeren für kurze Zeit ihre militärische Bedeutung verloren hatten. nÜber die oben erwähnten Regelverstöße und andere Probleme in Nordafrika handelt der nächste Beitrag.

1 Steinke, 235f.


Alexander Jernej CM
(Fortsetzung folgt)


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