Die Mitbrüder des Vincentinums in Trier leisteten umfangreiche Nothilfe bei der Überflutung des Trierer Stadtteils Ehrung durch die Flutkatastrophe im Sommer.

© Volksfreund/Bernd Heller-Portaflug“

Als die Flutkatastrophe im Juli Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen heimgesucht hatte, blieb auch die unmittelbare Umgebung von Trier nicht verschont. Nachdem donnerstags weite Teile von Trier-Ehrang überflutet worden waren, wurde ich am darauffolgenden Samstag als Notfallseelsorger angefragt. Was ich dann sah und erlebte, übertraf alles, was ich in meinem Leben bisher gesehen hatte. Es war ein schöner, klarer Sommertag und auf dem Weg nach Ehrang saßen Menschen in ihren Gärten und grillten, gingen ihrer Gartenarbeit nach und unterhielten sich mit Nachbarn auf der Straße. Alles schien normal, bis an den Punkt an dem ich die Kyllbrücke überquerte.

Beißender Gestank von Heizöl und Fäkalien, überall Rettungskräfte, Polizei und verzweifelte Menschen. Auf den Straßen jenseits der Brücke meterhohe Haufen von Hausrat, Elektrogeräten und Müll. Rettungskräfte zusammen mit Betroffenen versuchten die Häuser und Keller von dem, was das Wasser übriggelassen hatte, zu befreien.

Immer wieder standen Menschen auf der Straße, schauten auf ihre Häuser und begannen zu weinen. Ganze Existenzen, Lebenswerke und Lebensträume waren buchstäblich durch die Fluten untergegangen. Manche Menschen versuchten auf Wäscheleinen ihre Fotoalben zu trocknen, um so unwiederbringliche Erinnerungen an Eltern, Großeltern, Kinder und Freunde noch zu retten – vergeblich. Alles, was mit der braunen Brühe aus Wasser, Heizöl und Abwasser in Berührung gekommen war, war endgültig verloren.

Für mich folgten an diesem Nachmittag lange Gespräche mit Menschen, die einfach ihre Geschichten von dem hereinkommenden Wasser, der Evakuierung und ihren persönlichen Verlusten erzählen wollten. Viele Helfer und Helferinnen von THW, Feuerwehr und anderen Rettungsdiensten, zum Teil aus ganz Deutschland, waren ebenfalls fassungslos vom Ausmaß der Zerstörung und der Hilflosigkeit der Menschen.

Um zu verstehen, mit welcher Wucht das Wasser den Stadtteil Ehrang getroffen hat, muss man sich ein paar Zahlen vor Augen halten. Es gab Anwohner der Kyll, die immer schon mit Hochwasser zu kämpfen hatten und ein gewisses Repertoire an Schutzmaßnahmen vorhalten konnten. Es war aber niemand darauf vorbereitet, dass die Kyll, die normalerweise zwischen 80 cm und 100 cm Wasserstand hat, auf über 8 Meter ansteigen sollte. So wurden auch Teile von Ehrang überflutet, die über 3 Kilometer Luftlinie von dem kleinen Fluss lagen. Auch dort stand das Wasser zum Teil 1,80 Meter hoch im Erdgeschoss der Wohnungen.

Über 2.400 Haushalte waren betroffen, das heißt, dass mindestens der Keller bis zur Decke unter Wasser stand. Die meisten Häuser jedoch hatten hohe Wasserstände im Erdgeschoss, was bedeutete, dass alles, was in Wohnzimmer, Küche und anderen Räumen im Erdgeschoß stand, verloren war. Überall herrschte ein beißender Gestank von Heizöl, das aus unzähligen Tanks ausgetreten war und alles kontaminierte, was damit in Berührung kam. Immer wieder hörte ich Menschen sagen: zum Glück ist niemand ums Leben gekommen. Dennoch war so viel zerstört und die Betroffenen hatten das Gefühl von Sicherheit verloren, das sie bisher hatten.

Als ich abends meinen Mitbrüdern in Vincentinum von meinen Erfahrungen berichtete, stimmten wir darin überein, dass wir etwas Konkretes tun mussten. So entstand die Idee einer Patenschaft für eine Straße, die besonders von den Fluten betroffen war. Dank der ersten Spenden, die von den barmherzigen Schwestern in Paderborn kamen, konnten wir beginnen, Waschmaschinen zu kaufen und auszuliefern, damit die Menschen die wenigen Sachen, die ihnen geblieben waren, waschen konnten. Eine Frau brachte es auf den Punkt und sagte: Das ist so wichtig, weil diese Waschmaschine für eine Perspektive steht, nämlich für einen Funken Hoffnung.

Zusammen mit Stefan Ludes, einem Ehranger Bürger, konnte ich in den folgenden Tagen über 130 neue Waschmaschinen nach Ehrang bringen und verteilen. Immer mehr Spenden gingen ein, und die Menschen waren froh, dass so schnell und unkonventionell geholfen wurde. Anwohner hatten ein Gastronomiezelt als Anlaufstelle umfunktioniert und dort kamen Menschen in ihrer Not, um sich mit Lebensmitteln, Putzmitteln und Hygieneartikeln zu versorgen. Dort wurden Flyer des Vincentinums ausgeteilt, damit Betroffene sich bei uns melden konnten. In diesen Tagen konnte ich erfahren, wie gut es ist, wenn man im Sinne und nach dem Vorbild des heiligen Vinzenz arbeitet: Hilfe organisieren, Menschen einbinden und als Seelsorger wirken.

Viele Vereine, Organisationen, Privatpersonen, Firmen, kirchliche Gemeinschaften haben gespendet, um diese Hilfsaktion zu ermöglichen.

Mit der Familie der Rotarier rief ich die Aktion: „Rotary macht Schule“ ins Leben. Wir konnten über 75 Kindern neue Schulranzen, incl. Befüllung, schenken, was eine große finanzielle Entlastung der betroffenen Familien bedeutet hat.

Eine weitere Aktion nannten wir: Wir schenken Wärme! Allein in Ehrang waren 700 Haushalte ohne Heizung. In Zusammenarbeit mit der Firma Globus-Baumarkt konnten wir 595 Elektroradiatoren ausliefern. Seitdem werden Gutscheine verschenkt, damit die Menschen sich das kaufen können, was sie zur Renovierung ihrer Häuser und Wohnungen benötigen.

Bei jeder Übergabe, ob einer Waschmaschine, eines Kühlschranks, eines Schulranzen, eines Elektroradiators oder eines Gutscheins war ich persönlich anwesend und habe mit den Menschen vor Ort gesprochen. Das Lächeln in den überraschten Gesichtern ist der schönste Dank, den ich bei dieser Aktion erfahren durfte. Die Hilfe, die wir als Vinzentiner dank so vieler Spenden leisten konnten, gibt den Menschen Hoffnung, weil sie völlig unerwartet kam. Weil wir zu den Menschen gegangen sind, hatten diese trotz eines oft großen Gefühls des Schämens nicht den Eindruck, dass sie Bittsteller waren. Im Sinne des heiligen Vinzenz von Paul haben wir darauf geachtet, den Menschen ihre Würde nicht zu nehmen.

Bis zum Erscheinen dieses Artikels haben wir rund 175.000,00 Euro an Spenden gesammelt und nach Ehrang und Kordel weitergeleitet. Im Namen zahlreicher Menschen an der Kyll darf ich unseren Spenderinnen und Spendern ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Vergelt´s Gott!

P. Andreas Müller CM