Stifter und Häuser bis 1643

Das erste Haus der Lazaristen erhält Vinzenz bereits am 1. März 1624, ein Jahr vor Gründung der Gemeinschaft im April 1625 von Erzbischof de Gondi von Paris: das Kolleg des Bons-Enfants, ein heruntergekommenes altes Studentenheim mit einer Kapelle. Vinzenz wird zunächst zum Direktor des großen Hauses ernannt, das nur noch wenige Studenten beherbergt. Er selber wird allerdings bis zum Tod von Madame de Gondi am 23. Juni 1625 gemäß ihrem Wunsch in ihrem Haushalt wohnen bleiben.

Im Jahre 1630 wird Vinzenz das riesige alte Priorat Saint Lazare vor den Mauern von Paris angeboten. Nach langen Überlegungen, Beratungen und Verhandlungen macht er es schließlich 1632 zum Mutterhaus der Gemeinschaft. (Er übernimmt damit freilich auch die bisherigen alten Mönche und einige Insassen im Gefängnis, das zum Kloster mit eigener Gerichtsbarkeit gehörte, darunter Geisteskranke.) Die Mitbrüder, die von Saint Lazare aus regelmäßig auf Volksmission gehen, erhalten bald den volkstümlichen Namen die Lazaristen. Im Grunde können diese von Paris aus tätig sein. Dennoch ist bereits in der päpstlichen Gründungsurkunde von 1633 die Errichtung weiterer Häuser vorgesehen. Vinzenz wird schließlich in Frankreich insgesamt 19 eröffnen: die ersten acht bis 1643 widmen sich den Missionen sowie gelegentlich den Weiheexerzitien, neun Häuser beherbergen ein diözesanes Priesterseminar und dienen als Stützpunkt für Volksmissionen, zwei sind ausschließlich Seminare.

Eine weitere Ausbreitung der Tätigkeit der Gemeinschaft über die Gondi’schen Besitzungen hinaus war abhängig von finanziellen Förderern. Diese bestimmen hauptsächlich, wo gearbeitet wird. Ab 1629 werden Volksmissionen im Norden um Rouen gehalten: Der Herr einiger kleiner Ländereien spendete jährlich eine bestimmte Summe, damit in seinen Pfarren alle fünf Jahre eine Volksmission gehalten würde. Andere Verträge, etwa mit Herrn Nicolas Vivian, der bei Vinzenz Exerzitien gemacht hat, waren unbestimmter: Dieser zahlte für Missionen in drei der obersten Gerichtsbezirke, wobei einer allein, Bordeaux, mehr als 500 Pfarren umfasste. Für diese Arbeit konnte Vinzenz aber nur zwei Mitbrüder abstellen. Wir sehen sie mehrere Jahre bei der Arbeit.

Ab 1635 geht Vinzenz dazu über, so wie andere Gemeinschaften, Häuser in den Provinzen als Stützpunkte für die Missionen zu eröffnen. Er erhält ein Angebot aus Toul in Lothringen, das offiziell noch gar nicht zu Frankreich gehört. Ludwig XIII. und Richelieu nehmen sich 1634 in diesem seit 1552 besetzten Gebiet zum ersten Mal das Recht heraus, einen neuen Bischof für Toul zu ernennen. Dieser übernimmt bald das alte große mittelalterliche Hospital (für Waisenkinder und Kranke) der Stadt von den Ordensbrüdern vom Heiligen Geist und möchte daraus mit dem Geld, das sein Vorgänger für diesen Zweck hinterlassen hat, ein Priesterseminar machen. Von der französischen Krone erhält er die Erlaubnis, auch die Güter des Ordens vom Heiligen Geist für das Seminar zu verwenden.

Umso verwunderlicher ist es, dass im Vertrag mit den Lazaristen von einem Seminar überhaupt nicht die Rede ist. Hat Vinzenz sich gegen eine solche neue Arbeit gewehrt? Aber auch von Volksmissionen, der hauptsächlichen Tätigkeit der Gemeinschaft bisher, ist keine Rede. Vielmehr deutet der Text darauf hin, dass die beiden Mitbrüder, die die Hausgemeinschaft in Toul nun bilden, die Leitung des Hospitals übernehmen und die beiden dazugehörenden Pfarren betreuen sollen.

Auf jeden Fall folgen Jahre mit erheblichen Problemen und Enttäuschungen. Die Mitbrüder wollen unbedingt auf Volksmission gehen, dafür sind sie schließlich in der Gemeinschaft, aber das Hospital und die beiden Pfarren beanspruchen fast ihre ganze Zeit. Vinzenz ist damit einverstanden, zwei Drittel des Besitzes am Hospital zurückzugeben, um von seiner Leitung entbunden zu werden. Die entsprechende Teilung dauerte freilich Jahre. Später ist er sogar dafür, fremde Priester zu bezahlen und ihnen die Pfarrarbeit zu übertragen, aber die Finanzen des Hauses lassen das nicht zu. Nach dem frühen Tod des Bischofs treten dann auch noch Ordensbrüder vom Heiligen Geist aus Besançon auf, die das Hospital als ihren Besitz reklamieren und vor Gericht gehen. Vinzenz wendet sich an die Ordensleitung in Rom und an den König und gewinnt schließlich 1657 diesen Prozess. Diese erste Erfahrung war lehrreich.

Von nun an wird Vinzenz vor jeder Gründung die rechtlichen und finanziellen Fragen genauer unter die Lupe nehmen. Als nächstes kommt die Familie Richelieu auf Vinzenz zu, um Häuser zu stiften. Die Nichte des Kardinals und Ersten Ministers Frankreichs, die Herzogin von Aiguillon – sie ist in zwei Caritasvereinen in Paris aktiv – wird sich von nun an als die größte Wohltäterin der Gemeinschaft erweisen. Sie stiftet zunächst ein Missionshaus für vier Mitbrüder in ihrem Herzogtum. Ihr Onkel sichert sich vertraglich zehn Mitbrüder für das seine. Bis 1643 werden insgesamt acht neue Häuser entstehen, die jeweils von Mitgliedern der politischen und religiösen französischen Elite gestiftet werden. Einige von ihnen waren so wie Vinzenz mit dem verstorbenen Bischof von Genf, Franz von Sales, verbunden. In diesem Kreis genießt Vinzenz großes Ansehen. Er ist Seelsorger von Schwesterngemeinschaften der Visitation und Vertrauter der Generaloberin Franziska von Chantal, die mit Franz von Sales diese Gemeinschaft gegründet hat. Mutter Chantal wird die einflussreiche Helferin für die Gründung eines Hauses in Annecy, eine mit ihr eng befreundete Karmeliterin für jenes in Troyes.

Mit der Familie de Gondi, die Vinzenz als die Stifterin der Gemeinschaft betrachtete, pflegte er weiterhin gute Kontakte. Im Jahre 1644 stiftet der Sohn und Erbe, der Herzog von Retz, das kleine Haus von Montmirail, wobei der Vater, Graf de Gondi, inzwischen Priester in der Gemeinschaft der Oratiorianer, die treibende Kraft im Hintergrund ist. Auch die Kontakte mit den Angestellten der Familie de Gondi bleiben aufrecht. Der Sekretär des Herzogs, Lois Toutblanc, vermacht den Lazaristen zwei landwirtschaftliche Güter.

Der erste Biograph Abelly betont, dass Vinzenz aus Gründen der Abkehr von natürlichen Bindungen an Herkunft und Familie nie die Gründung eines Hauses in seiner Heimatregion angestrebt, sondern dass er in diesem Bereich grundsätzlich alles der göttlichen Vorsehung überlassen habe. Alison Forrestal findet jedoch Hinweise für das Gegenteil (130). Als der Bischof seiner Heimatdiözese Dax im Oktober 1647 ihn bittet ein Missionshaus zu eröffnen, macht Vinzenz konkrete Vorschläge zur Finanzierung eines Projektes (III, 242f). Möglicherweise hat er sich anschließend anders besonnen … Aber Vinzenz ist nicht so zurückhaltend wie ihn die Biographen gerne beschreiben. Er ist es, der den als Wohltäter für andere Gemeinschaften bekannten Herrn Vivian anspricht und ihm große finanzielle Sorgen in Saint Lazare anvertraut. Dieser ist bereit zu helfen. Er stiftet Volksmissionen und spendet einen Teil direkt für die laufenden Kosten in Saint Lazare (131).

Wer Richelieu und Aiguillon als Wohltäter hat, ist nicht weit entfernt vom Königshof. Vinzenz kommt ab 1640 zu größerem Ansehen beim König und der Königin. Zwei Häuser verdankt er dieser Beziehung zum Hof. Das eine in Crecy-en-Brie muss er wegen Schwierigkeiten mit dem Bischof von Meaux für sechs Jahre wieder schließen, das andere ist in Sedan an der belgischen Grenze, einem bis 1642 selbständigen Fürstentum. Der Herzog, der auf Seiten der Hugenotten steht, muss es nach einer verlorenen Schlacht an den König abtreten. Die Lazaristen kommen nun dorthin im Namen der Kirche und der Krone, um die Gemüter zu beruhigen. Sie übernehmen die einzige Pfarre der Stadt und halten zugleich Missionen. Den Hugenotten gegenüber verhalten sie sich freundlich und vermeiden zum Erstaunen mancher Pastoren jegliche Streitgespräche. Als Wermutstropfen in Sedan bleibt ein Missverständnis über die finanzielle Unterstützung durch den Bischof von Reims, zu dessen Diözese Sedan nun gehört. Er wirft Vinzenz vor, die Unterstützung durch den König verschwiegen zu haben. Dieser entschuldigt sich, dass die Widmung der Gelder aufgrund des kürzlich erfolgten Todes des Königs nicht eindeutig war und einer Klärung bedurfte. Vinzenz konnte schließlich mehr Mitbrüder für die notwendigen und vielfältigen Aufgaben nach Sedan schicken.

Die Verbindung von Evangelisation mit den politischen und territorialen Bestrebungen Frankreichs, die hier beginnt, wird sich in späteren Generationen, vor allem auch in den auswärtigen Missionen, als problematisch erweisen.

Alexander Jernej CM
(Fortsetzung folgt)


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