Die Institutionalisierung der Galeerenseelsorge

Bis zur Dissertation von Steinke1 (2019) galt Vinzenz von Paul, ausgehend von der ersten Biographie durch Abelly, auch als Initiator und als treibende Kraft einer humanisierenden Galeerenseelsorge in Frankreich. Steinke findet nun die wahren Pioniere in diesem Bereich und zeigt Schritt für Schritt auf, warum und wie Vinzenz letztlich die pastorale Gesamtverantwortung für die etwa 7000 Galeerenruderer bekommt (178f):

Im Jahre 1635 muss der junge Graf de Gondi seinen Posten als General der Galeeren an Kardinal Richelieu verkaufen, ein damals übliches Unterfangen. Nach dessen Tod 1642 beerbt ihn sein minderjähriger Neffe. Tatsächlich aber hat die Nichte Richelieu’s, die Herzogin von Aiguillon, nun neben der Verwaltung der geerbten Reichtümer auch die Verantwortung für das Korps der Galeeren inne. Sie ist Vinzenz’ größte Wohltäterin und schon länger den Mitgliedern der geheimen Companie du Saint-Sacrement bei der Verbesserung der Lage der Galeerensträflinge behilflich. Vinzenz ist ebenfalls Mitglied dieser Vereinigung, aber im Bereich der Galeerenseelsorge tun sich andere hervor.

Zwei von ihnen, Simiane Ritter von Coste und Bischof Jean-Baptiste Gault von Marseille, wenden sich nun über Vinzenz erneut an die Herzogin, um endlich die Projekte eines Hospitals für die kranken Zwangsruderer und einer geregelten Seelsorge auf den Galeeren zu verwirklichen. Die Verhandlungen sind erfolgreich, die mächtige Dame stellt finanzielle Mittel bereit, will aber im Gegenzug, dass mit der Glaubensverkündigung auf den Galeeren sofort in der Art einer Volksmission in großem Stil begonnen werde. Sie schickt dafür fünf Lazaristen nach Marseille, der Bischof findet weitere Mitarbeiter, darunter acht Priester der Mission der Provence (gegründet von Authier de Sisgau, dem späteren Bischof von Bethlehem). Von Februar bis April 1643 wird auf allen Galeeren gepredigt, Beichte gehört und gemäß der damaligen Überzeugung die Rück- bzw. Hinkehr von Protestanten und Muslimen zum alleinseligmachenden katholischen Glauben betrieben.

Die Zusammenarbeit der Lazaristen mit den Priestern der Mission von Authier de Sisgau ist so gut, dass Verhandlungen über eine Fusionierung der beiden Gemeinschaften aufgenommen werden, die allerdings scheitern. Auch in der Frage der Institutionalisierung der Seelsorge im Hospital und auf den Galeeren gehen die Meinungen auseinander. Bischof Gault und Ritter Coste hatten dafür die Barmherzigen Brüder bzw. die Priester der Provence vorgesehen, die Herzogin wünschte sich für diese Aufgabe aber die Lazaristen. Sie setzt sich durch, nicht zuletzt durch den frühen Tod des Bischofs im Mai 1643. Darüber hinaus war Vinzenz von Paul seit 1619 „königlicher Seelsorger der Galeeren”, also eine Art „Oberseelsorger”, auch wenn er dieses Amt bis dahin wenig ausgeübt hat.

Im Juli 1643 stiftet nun die Herzogin von Aiguillon eine Niederlassung der Lazaristen in Marseille für den fortwährenden Unterhalt von vier Priestern (192). Sie sollen im Hospital für die kranken Galeerenruderer, das nun bald fertiggestellt wird, wohnen und dort die Kranken betreuen. Zugleich sind sie für die Seelsorge auf den Galeeren verantwortlich und haben dabei die Aufsicht über die anderen Seelsorger (theoretisch hatte jede Galeere einen Seelsorger, freilich meist nur auf dem Papier). Um alle Zweifel über diese Kompetenz aus dem Weg zu räumen, lässt sich Vinzenz im Januar 1644 seine Oberhoheit über alle anderen Galeerenseelsorger bestätigen und zugleich die mit dem Amt verbundene Autorität, Funktionen, Einkommen, Ehren und Rechte auf den Superior des Hauses in Marseille übertragen (XII, 303). Darüber hinaus kann er das Amt des „königlichen Seelsorgers der Galeeren” auch für seine Nachfolger als Generalsuperioren der Lazaristen sichern.

Im Juni 1644 beziehen die Lazaristen ihre Unterkunft in Marseille. Ritter Coste hegt zwar immer noch andere Pläne, dennoch schreibt er Ende desselben Monats an Vinzenz: Ich möchte Ihnen meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass Ihre Herren nun im Hospital der armen Forcats Wohnung genommen haben. Möge der Herr Ihr Lohn sein, Monsieur, für die Charité, die Sie diesem Haus erwiesen haben und für die guten Dienste, die Sie ihm bei Madame, der Herzogin von Aiguillon geleistet haben. (XV, 49) Im April 1645 wird die Fertigstellung des Hospitals der Galeeren feierlich begangen. Ritter Coste ist über die neuen Möglichkeiten der Pflege der kranken Galeerenruderer begeistert, denn diese wirken sich auch auf den Bereich der Seelsorge sehr positiv aus (193f). Er bemüht sich nun dem Werk mehr Bestand zu verleihen und die Fragen des Verhältnisses von Hospital und dem Korps der Galeeren erneut zu klären, indem er eine königliche Anerkennung dafür erbittet. Zugleich möchte er damit seine und Bischof Gault’s Vorstellung von der weltlichen und geistlichen Leitung des Hospitals durch die Barmherzigen Brüder durchsetzen. Zu diesem Zweck reist er nach Paris, spricht mit der Herzogin von Aiguillon, einigen Mitgliedern der Companie du Saint-Sacrement, die am Hof tätig sind, allerdings nicht mit Vinzenz von Paul, den er offenbar als Konkurrenten sieht. Auch der Königinmutter, die für ihren minderjährigen Sohn Regentin Frankreichs ist, kann Ritter Coste Ende Dezember 1645 seine Pläne vorstellen (195).

Mitte Juli 1646 geht Vinzenz erneut als Sieger aus dem Ringen um die geistliche Leitung des Hospitals der kranken Galeerenruderer hervor bzw. wird der Plan der Herzogin auch hierin endgültig bestätigt. Die königliche Anerkennung, die auf Ritter Coste’s Betreiben hin erfolgt, erhebt das Hospital der Galeeren zu einer königlichen Stiftung, überträgt aber gleichzeitig die Leitung der Seelsorge an Vinzenz in seiner Qualität als königlicher Galeerenseelsorger. Die Verwaltung des weltlichen Bereichs wird vier Administratoren, darunter Ritter Coste, für zwei Jahre übertragen.

Sehr bald kommt es erneut zu Spannungen. Die Administratoren, allesamt aus dem Lager der Marseiller Companie du Saint-Sacrement, sind mit dem Umfang der Seelsorge der Lazaristen im Hospital nicht zufrieden. Diese wiederum meinen, es bräuchte zusätzliche Priester unter ihrer Aufsicht. Mitte 1648 erreicht Vinzenz mit Ritter Coste eine vorläufige Beilegung des Konfliktes, eine endgültige Lösung wird im Juli 1650 bei einem Treffen in Paris in Anwesenheit der Herzogin gefunden. Die strittigen Punkte der Zuordnung der weltlichen und geistlichen Leitung des Hospitals werden geklärt, die Machtverhältnisse verschieben sich wieder und nun endgültig in Richtung Vinzenz von Paul und seine Mitbrüder (199f). Vinzenz bezeichnet Ritter Coste, der ein Jahr zuvor in Marseille verstorben war, in einem Nachruf als einen großen Diener Gottes, der die Hauptsorge für das Hospital der Galeerenruderer von Marseilles trug und der wie sein Urheber und Schirmherr war (III, 474).

In den Jahren 1643 bis 1660 ist Vinzenz intensiv – wenn auch inmitten von Spannungen mit anderen Akteuren – mit der Organisation und Leitung der Galeerenseelsorge beschäftigt. Viele Briefe darüber sind erhalten geblieben. Ab 1650 übernimmt er zusätzlich die Verantwortung für die Finanzierung des Hospitals samt Personal. Die königlichen Zuwendungen samt Spendensammlungen reichen nicht aus. Einmal kann er die Seelsorger auf den Galeeren nicht bezahlen, ein andermal die Angestellten im Hospital. Die Herzogin erreicht schließlich, dass Mittel aus der Salzsteuer der Provence für die Galeerenseelsorge zur Verfügung gestellt werden.

Eine Ironie der Geschichte – wie Steinke betont – denn etwa 10% der Ruderer sind gerade wegen Salzschmuggels zur Umgehung der hohen Salzsteuer verurteilt worden (208). Neben der Überwachung der Tätigkeit der angestellten Priester auf den Galeeren kümmern sich die Lazaristen besonders um die Konvertiten und solche, die es werden wollen, also um Protestanten, eventuell Orthodoxe oder auch Muslime, die Interesse am katholischen Glauben bekunden. Besonders bei Letzteren war auf die Freiwilligkeit ihrer Entscheidung zu achten, weil alles andere letztlich auch auf der anderen Seite, etwa in Nordafrika, bekannt geworden wäre und zu Repressionen der dort gefangen gehaltenen Christen geführt hätte. Vinzenz war mit seinen Mitbrüdern ja auch dort vor Ort tätig (siehe kommender Beitrag) und wusste um diese Reziprozität.

Eine weitere Aufgabe der Lazaristen bestand darin, eine Art Solidaritätsnetzwerk zwischen den Galeerensträflingen und ihren Angehörigen zu unterhalten. Nachrichten, aber auch kleine Geldzuwendungen konnten auf diese Weise vermittelt werden.

1 Daniel Steinke, Vinzenz von Paul (1581-1660) und die Praxis der Sklaverei im Mittelmeerraum, Olms Verlag 2019


Alexander Jernej CM
(Fortsetzung folgt)


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